Sonntag, 3. Juni 2012

Neukölln 1978



Läßt sich Zeit in Bilder „fassen“? Schwer zu sagen. Schon bei der Frage, was Zeit eigentlich ist, scheiden sich die Geister. Was für die einen „Substanz“ hat, ist für andere lediglich „gedankliche Konstruktion“. Unstrittig ist, dass wahrgenommene Formen der Veränderung oder die Abfolge von Ereignissen mit dem, was wir Zeit nennen, zu tun haben (könnten). Das wird jeder und jedem schmerzlich bewusst, wenn Veränderungen das Etikett „Altern“ anhaftet. Ob dies - vielfach diskutiert - auch jenseits menschlicher Wahrnehmung oder Kommunikation „gilt“, wird nur von denen bestritten, die auch nach ihrem Tod noch in Kontakt zur Gemeinschaft der Forscherinnen und Forscher stehen. Mit unserer Ausgangsfrage ist es nicht weniger kompliziert. In dieser Verbindung wird „Zeit“ gemeinhin mit Erinnerungen, Dokumenten und Erzählungen in Schrift und Bild, künstlerischen Artefakten, politischen (Groß)Ereignissen und anderem mehr in Verbindung gebracht. Was viele „erkennen“ und als zeittypisch „erinnern“, gilt als „gelungener“ Ausdruck einer Zeit oder Epoche. Damit es dazu kommt, sind „dichte“ Kommunikation und „regelmäßiger“ Austausch in Form entwickelter „Öffentlichkeiten“ über Bild- und Printmedien erforderlich. Sie stellen „Einvernehmen“ her und produzieren ein „Reservoir an Erinnerungen“, ein „Wort-, Geschichten- und Bilder-Pool“, aus dem schließlich generationsunabhängig „geschöpft“ werden kann. Bearbeitung, Gestaltung, Verdichtung, Taktung, Austausch, Weitergabe, Kommunikation und erneute Bearbeitung: Was dabei entsteht, ist ein „gesellschaftliches“ Gedächtnis. Dieses „folgt“ allerdings sozialen Auseinandersetzungen, „hört“ auf Macht und ist herrschaftlich „durchwirkt“. Nicht jede Erinnerung ist erwünscht, zumal dann nicht, wenn sie „Unabgegoltenes“ einklagt. „Die“ Geschichte kennt unzählige Beispiele dafür, wie Erinnerung - bzw. die Menschen, Gruppen und Völker, die sie formulieren und tragen -, wenn sie bedrohlich wirkt, eliminiert wurde und wird. Wir sind in der komfortablen Situation, Erinnerung gefahrenfrei aussprechen, bebildern oder anderweitig medial aufbereiten zu können. Fotokryptisch gesprochen heißt das erst einmal: Was geht, geht. Was kommt, kann raus. Ist damit gemeint, alles ist egal? Beliebigkeit als Maxime? Sicher nicht. Aber: Erinnerung haftet immer etwas unauflöslich Subjektives, Willkürliches an. Geteilte Erzählungen sedimentieren und objektivieren aus partikularem Geschehen festen Erinnerungsgrund. Was am Perlenband erzählter Geschichte keinen Platz hat, bleibt sprachlos, sinkt ab. Jede individuelle Lebensgeschichte changiert zwischen Gruppen- und Selbst-Erzählungen. In beiden Sphären wächst, je länger das Leben dauert, das Abgelegte. Wir sitzen - mit anderen Worten - auf monströs großen und unbeschriebenen „Zeitschaften“. Sie machen uns aus. Subjektiv in’s Bild gesetzt, kann man sie sehen. Kommen wir zu unserer Ausgangsfrage zurück: Läßt sich Zeit in Bilder „fassen“? Na klar, einfach mal machen.

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